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Interviewfilme mit jüdischen Ostberliner:innen

Das Leben von Jüdinnen:Juden in der DDR war bis vor kurzem ein wenig beleuchteter Aspekt ostdeutscher Geschichte. Im Rahmen des Projekts jüdischer kulturklub ostberlin des Instituts für Neue Soziale Plastik wurden seit 2023 Zeitzeug:innen mit jüdischer Familiengeschichte nach ihren Erfahrungen und ihrer Sozialisation befragt, nach Erinnerungspolitik und Antisemitismus in der DDR, nach den Möglichkeiten jüdischen Alltags und dem Spannungsfeld zwischen Sozialismus und Judentum.

Bis Sommer 2025 wurden insgesamt 12 Interviews geführt, bisher liegt knapp die Hälfte in jeweils halbstündiger Schnittfassung vor. Diese wurden beim Minifestival Jüdische Ossis III am 17. und 18. November 2025 präsentiert und anschließend auch an dieser Stelle zugänglich gemacht.

INTERVIEWFÜHRUNG: DR. BETTINA LEDER; KAMERA, SCHNITT: TOBIAS JALL

Ellen Händler

Im Interview erzählt sie vom schwierigen Überleben ihrer Eltern in Großbritannien, den engen Beziehungen in der Familie und der Widersprüchlichkeit des Lebens in der DDR.

Ellen Händler wurde 1948 in Ost-Berlin geboren. Ihre Mutter Hella war gemeinsam mit ihrer Schwester nach der Pogromnacht mit einem Kindertransport nach Großbritannien geflohen und hatte dort ihren späteren Mann Werner kennen gelernt. Als Ehepaar kehrten beide nach Berlin zurück, weil sie sich sagten: »Die Nazis dürfen es nicht geschafft haben, dass Deutschland ›judenfrei‹ ist.«

In der Familie wurde immer offen über die Vergangenheit gesprochen: Ellen Händler wusste schon als Kind, dass fast alle ihrer Verwandten als Juden ermordet worden waren. Ihre Eltern waren nicht religiös, sprachen aber mit den beiden Töchtern über jüdische Traditionen. Gemeinsam mit ihrem Vater besuchte Ellen Händler als 14-Jährige Auschwitz und suchte dort nach Unterlagen über dessen Eltern. In den späten 1980er Jahren begleitete sie ihren Vater und ihre Mutter häufig zu Veranstaltungen des Jüdischen Kulturvereins. Die Beziehungen der Familienmitglieder waren und sind sehr eng. Ellen Händler ist Mutter zweier Kinder und hat vier Enkelkinder.

Nach der Schule studierte sie Soziologie und wurde promoviert, anschließend arbeitete sie im Amt für Jugendfragen und war Fachreferentin für Bildung im Sekretariat des Ministerrates der DDR. Nach der Wende gehörte sie zu den Wenigen, die nicht arbeitslos wurden. Sie war die erste freigewählte Personalrätin der Außenstelle des Kanzleramts und später Pressesprecherin einer Bundesbehörde. Ihre Abschlüsse wurden zwar anerkannt und sie konnte die Arbeit einer Beamtin des höheren Dienstes verrichten, wurde aber nur als Sachbearbeiterin eingruppiert.

Gemeinsam mit UtaMitsching-Viertel schrieb sie die Bücher „Unerhörte Ostfrauen (2019), »ProblemZone Ostmann?« (2021) »Die DDR ist nachhal(l)tig« (2024).

Seit 1998 ist sie Vorsitzende des Bundes der Antifaschisten in Treptow. Wie viele andere jüdische DDR-Bürger:innen versteht sie ihr Judentum als kulturelle Zugehörigkeit und als Auftrag, sich für die Erinnerung und den Antifaschismus zu engagieren.

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Eva Nickel

Sie lebt heute wieder im Prenzlauer Berg im Haus ihrer Kindheit, in dem sie auch aufgewachsen ist. Eva Nickel bietet unter anderem Führungen durch das jüdische Berlin an und besucht Schulen, um mit Kindern über die NS-Zeit zu sprechen.

Eva Nickel wurde 1948 im Jüdischen Krankenhaus im Wedding im französischen Sektor Berlins geboren und wuchs im Ostteil der Stadt auf.

Evas Mutter hatte die NS-Zeit als einzige ihrer Familie überlebt; ihre kleinen Töchter Ruth und Gitti waren in Auschwitz ermordet worden. Sie selbst war von Bekannten versteckt worden und hatte so überlebt. Einige Jahre nach dem Krieg heiratete sie den Sohn einer ihrer Retterinnen – Eva Nickels Vater.

Eva wurde von ihrem (nichtjüdischen) Vater als bewusste Jüdin erzogen. Er begriff ihre Geburt, vier Jahre nach der Ermordung ihrer Halbschwestern und der Schoah, als politischen Auftrag. Von Beginn an lernte sie jüdisches Leben kennen und wuchs als Teil der Jüdischen Gemeinde auf.

Nach dem Schulabschluss lernte sie in den Kostümwerkstätten des Fernsehfunks der DDR zunächst Gewandschneiderei und studierte danach Ökonomiepädagogik. Über 20 Jahre war sie in der Berufsausbildung für kaufmännische und schreibtechnische Lehrlinge tätig. Neben ihrer beruflichen Arbeit baute sie in den 1970er und 1980er Jahren in der Ostberliner Jüdischen Gemeinde ehrenamtlich eine Kindergruppe auf, die sie dann auch leitete.

Nach der Wende und dem Verlust ihrer Arbeitsstelle begann sie, als Sozialarbeiterin in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zu arbeiten. Sie qualifizierte sie sich zur Sozialarbeiterin und betreute viele der NS-Verfolgten, die sie oft schon seit ihrer Kindheit kannte.

Auch als Rentnerin begleitet Eva Nickel einige ihrer alten Klienten weiter und ist deren Stütze geblieben. Seit 2023 arbeitet sie ehrenamtlich bei der ZWST zur Antisemitismusprävention in Seminaren und Schulungen. Hierzu berät sie auch Theatergruppen, die Aufführungen zu diesem Thema für Schulen und Jugendgruppen vorbereiten.

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Leah Carola Czollek

Leah Carola Czollek erzählt von der Beziehung zu ihrem Vater und wie sie zu einer Kämpferin erzogen wurde. Sie spricht vom Gefühl, auf einem Friedhof aufgewachsen zu sein. Sie spricht über Antisemitismus in der DDR und Privilegien, über die Entwicklung jüdischen Lebens in den 1980er Jahren und die Möglichkeit, Jüdischsein als etwas Lebendiges zu erfahren. Wie ihre Erfahrungen in der DDR und ihr jüdischer Hintergrund ihre politische Arbeit beeinflussen, über institutionalisiertes und instrumentalisiertes Gedenken in Ost und West und ihre Einsamkeit nach dem 7. Oktober 2023.

Leah Carola Czollek wurde 1954 in Berlin (Ost) geboren. An der Humboldt-Universität zu Berlin studierte Leah Carola Czollek Rechtswissenschaft. 1989, nach fünfjährigem Versuch, gelang ihr die Ausreise in die BRD, da aber ihr Abschluss nicht anerkannt wurde, konnte sie ihren Beruf nicht ausüben. Sie absolvierte ein zusätzliches Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Potsdam und war seit 1994 in der Erwachsenenbildung aktiv und ist Buchautorin. 2005 gründete sie das Institut »Social Justice and Radical Diversity« gemeinsam mit Gudrun Perko, dessen Leiterin sie nach wie vor ist.

Ihr Vater Walter Czollek – ein jüdischer Kommunist – hatte mehrere Konzentrationslager überlebt, bevor er aus Deutschland ausgewiesen wurde. In Shanghai wurde er Leiter der KPD in China. Er kehrte 1947 nach Berlin zurück. Später wurde er Leiter des Verlags Volk und Welt. Dort lernte er Leah Carola Czolleks Mutter, Dr. Roswitha Czollek, geborene Kaminski, kennen, die zu jener Zeit als Lektorin im Verlag und später als Wissenschaftlerin in der Akademie der Wissenschaften (DDR) arbeitete.

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André Herzberg

André Herzberg erzählt von dieser Zerrissenheit, von familiären Traumata und Unausgesprochenem. Von fehlenden Kippot und improvisiertem jüdischen Leben, von der berührenden Stimme Estrongo Nachamas und der eigenen Suche nach Glück. Der Rockmusik als Gegenmodell zum erstarrten Sozialismus und der Trauer der jüdischen Erinnerung. Und von der Suche und dem schließlichen Ankommen in einer eigenen jüdischen Identität.

André Herzberg wurde 1955 in Berlin (Ost) geboren. Seine Mutter, Ursula Herzberg, war Staatsanwältin in der DDR, sein Vater Hans Journalist. Sie lernten sich im britischen Exil kennen, wohin sie vor den Nationalsozialisten geflohen waren. 1947 kehrten sie nach Berlin zurück, zuerst nach Westberlin, dann in die Sowjetische Besatzungszone.

André Herzberg studierte an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und wurde 1981 Frontmann der Band »Pankow«, einer der erfolgreichsten Rockbands der DDR. Mit seinen Texten und Bühnenauftritten geriet er immer wieder in Konflikt mit dem Staat, so dass Übertragungen abgebrochen wurden und Alben erst verzögert erscheinen konnten. 1988 spielte er mit der Band ein Konzert, um Spendengelder für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße zu sammeln.

Nach der Wende war André Herzberg weiterhin als Solo-Musiker erfolgreich und begann zu schreiben.

Herzberg wuchs hauptsächlich mit seiner Mutter auf, da sich die Eltern früh scheiden ließen. Ursula Herzberg war, wie auch der Vater, streng kommunistisch, trotzdem ging sie regelmäßig mit ihrem Sohn in die Synagoge Rykestraße und versuchte auch darüber hinaus, ein Bewusstsein für seine jüdische Herkunft zu vermitteln. Dabei gerieten ihr kommunistisches Weltbild und ihre jüdische Erfahrung immer wieder in Konflikt.

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